Fertigstellung vs. Perfektionierung
Zwischen dem Fertigstellen und dem Perfektionieren eines Projektes ist ein großer Unterschied. Perfektionismus läuft häufig einer Fertigstellung zuwider. Eine fertiggestellte Arbeit muss nicht perfekt sein, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Das Projekt muss aber in seinen Kernpunkten vollständig sein.
Aus einem mittelmäßigen, aber fertigen Drehbuch kann noch immer ein Film werden. Ein wundervoll gemachtes, aber halb-fertiges Drehbuch ist jedoch größtenteils wertlos. Ein nicht bis ins letzte Detail perfektes, aber verkaufsfähiges Software-Programm kann dem Kunden dennoch einen Nutzen bringen und Verkäufe erzielen. Eine Software die zwar voller toller Features, aber ständig nicht lieferbar ist, wird meist keine Verkäufe erzielen (trotz QuickBooks).
Fertigstellung bringt Resultate - Perfektionismus verzögert oder vernichtet Resultate.
Perfektionismus vs. Verfeinerung
Perfektionismus ist nicht das selbe wie Verfeinerung. Ein fertiges Projekt zu verfeinern kann es sogar verbessern, so lange der Verfeinerungsprozess nicht zu unnötigen Verzögerungen oder zur Auflösung des Projekts führt. In vielen Fällen kann die Verfeinerung erfolgen, nachdem das ursprüngliche Projekt schon als fertiggestellt gilt. Ein Buch kann in späteren Auflagen überarbeitet werden. Ein Song kann ge-remixed werden. Eine Webseite kann up-gedated werden, nachdem sie online ist.
Als Blogger bin ich gut weil ich Artikel veröffentliche, nicht weil ich sie schreibe. Ich hatte nie das Gefühl, dass einer meiner veröffentlichten Artikel perfekt ist. Aber ich zwinge mich selbst dazu, zu veröffentlichen was ich schreibe, obwohl das Resultat durchwegs alles andere als perfekt ist. Das bringt den Lesern Nutzen und mir Web-Traffic und Einkommen. Meine Webseite ist auch alles andere als perfekt, aber sie ist funktionell genug um den Leuten einen Nutzen zu bringen. Das ist besser als die perfekte Webseite mit perfekten Inhalt deren Veröffentlichung sich auf unbestimmte Zeit verzögert.
Standards für eine Fertigstellung
Es ist großartig, hohe Standards bei der Qualität zu haben, aber wie beeinflussen diese Standards Ihre Fähigkeit, Projekte abzuschließen? Sind Ihre Anforderungen an die Qualität so unrealistisch, dass sie Sie dabei blockieren, die notwendigen Arbeiten für die Fertigstellung zu erledigen?
Wenn Sie für sich in Anspruch nehmen, hohe Standards zu haben, Sie jedoch nicht viel lieferbaren Output produzieren, dann würde ich sagen dass Ihre Standards lahm sind. Wie gut ist ein Standard wenn er keine Resultate bringt?
Stellen Sie sicher, dass Ihre Standards Ihrem Antrieb zur Fertigstellung dienen. Wann werden Sie etwas Fertiges liefern? Wie werden Sie Ihr Projekt zu einem Abschluss bringen und es veröffentlichen?
Fantasie-Standards
Ein Fantasie-Standard ist einer der Ihnen erlaubt sich selbst zu täuschen und Ihnen Glauben macht, dass Sie etwas von unvorstellbar hoher Qualität oder Nutzen erschaffen, Sie aber in Wahrheit die endgültige Arbeit nicht in angemessener Zeit liefern lässt.
Ein Grund, warum Menschen Fantasie-Standards übernehmen ist die Angst davor, Ihr Endprodukt abzuliefern. Es kann furchteinflößend sein etwas abzuliefern, das nicht perfekt ist. So lange Sie noch immer an einem Projekt „arbeiten" das noch nicht geliefert wurde, können Sie sich der Illusion hingeben, das alles rosig sein wird, wenn es dann schließlich geliefert wird.
Die Realität ist, dass egal wann Sie Ihr Endprodukt an jemand anderen liefern, es niemals mit 100% Wertschätzung und Dankbarkeit angenommen werden wird. Irgendjemand wird immer einen Fehler daran finden. Das liegt in der Natur der Sache.
Wenn Sie einen Film herausbringen, wird er von Menschen negative Kritik bekommen. Wenn Sie ein Buch veröffentlichen, werden Leute es kritisieren. Wenn Sie eine Webseite neu einführen, wird sie einigen Leuten nicht gefallen.
Die Konsequenzen einer Fertigstellung akzeptieren
Wenn Sie erwarten, dass nach Fertigstellung Ihres Projekts durchwegs alles positiv sein wird, wird das nur Ihren Drang nach Perfektionismus anheizen und Sie werden endlose Verzögerungen erleiden.
In Wahrheit folgt auf den Abschluss eines Projektes ein Mix aus negativen und positiven Konsequenzen.
Wenn Ihr Projekt jedoch gut ist, ist das Beste worauf Sie hoffen dürfen, dass die positiven Folgen die negativen Folgen überwiegen. Aber seien Sie nicht so naiv anzunehmen, dass Sie imstande wären, alle negativen Konsequenzen zu vermeiden.
Vor kurzem habe ich eine Biografie über Depeche Mode, meiner Lieblings-Band, gelesen. Wenn man sich deren enorme Popularität ansieht und ihre Millionen Plattenverkäufe, sind sie eine der erfolgreichsten Bands aller Zeiten. Aber wann auch immer sie neue Alben herausbringen, werden sie von einigen Teilen der Musikpresse zerrissen. Egal was sie machen, ein paar populäre Kritiker werden ihnen eine Bewertung von 1/5 oder 2/5 geben. Die Band bekam permanent vernichtende Kritiken.
Natürlich bekamen Sie auch viele positive Rückmeldungen, aber es findet sich immer jemand, der ihre Arbeit kritisiert. Zwei ihrer bekanntesten Songs „Master and Servant" und „Blasphemous Rumours" wurde bei bestimmten Sendern sogar verbannt, weil sie zu umstritten oder gewagt waren. Damit verloren sie viele Möglichkeiten, im Radio gespielt zu werden.
Und heute, trotz vieler solcher und anderer Schwierigkeiten, veröffentlichen sie weiterhin Musik und sind sehr erfolgreich. Unzählige Bands sagen, das Depeche Mode einer der Haupteinflüsse für sie waren.
Die Band hatte im Laufe der Jahre zweifellos ihre Höhen und Tiefen (Drogenabhängigkeit, Selbstmord, Scheidungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, usw.). Aber trotz all dieser Probleme haben sie es geschafft an einem Strang zu ziehen und Songs zu produzieren und herauszubringen. Ihre Songs sind nicht perfekt (bis auf „Perfect" vermute ich), aber sie waren sehr gut darin, Songs und Alben fertigzustellen. Manchmal war es sehr schwierig für sie, aber sie veröffentlichten immer weiter anstatt halb-fertige Songs zu machen und sie beiseite zu legen.
Viele der Songs von Depeche Mode sind nur mittelmäßig, aber weil sie weiter und weiter veröffentlichten, haben sie es fertiggebracht, nebenbei einige solide Hits zu produzieren wie „Enjoy the Silence". Und noch immer finden sich für jeden Hit genug Kritiker die sagen „Der Song ist lahm und zwar weil, ..."
Eine realistischere Betrachtungsweise von Erfolg
Es gibt in keinem Unternehmen 100%-igen Erfolg. Rosen haben immer Dornen. Wenn Sie große Projekte abschließen und den Erfolg der damit einhergeht genießen, werden Sie sich ausnahmslos mit einigen negativen Folgen beschäftigen müssen, die damit einhergehen. Am Ende werden Sie immer einige Zeit mit dem Managen der Dornen verbringen müssen.
Das ist kein unlösbares Problem. Dornen kann man in den Griff bekommen. Jedoch ist es wichtig zu akzeptieren, dass diese Dornen existieren und dass Sie sich von Zeit zu Zeit mit ihnen befassen müssen.
Perfektionismus kann als Unwille betrachtet werden, sich mit den Dornen des Erfolgs auseinanderzusetzen. Da Dornen aber größtenteils unvermeidbar sind, ist die einzige Möglichkeit, um sich realistisch vor der unvermeidlichen Konfrontation mit ihnen zu schützen, den Erfolg selbst zu verhindern. Wenn Sie sich nicht bewusst machen, dass Sie sich auf diese Weise gegen einen Erfolg wehren, dann äußert sich das als Perfektionismus. Das lässt Sie in dem Glauben, dass Sie auf die von Ihnen gewünschten Resultate hinarbeiten, in Wahrheit gelangt Ihr Projekt aber immer aufs Abstellgleis. Natürlich sind Sie derjenige, der unbewusst die Weichen dafür stellt.
Ich habe viele Freunde die man als höchst erfolgreich bezeichnen kann und sie alle haben Dornen, mit denen sie sich befassen müssen. Einige sind internationale Bestseller-Autoren. Sie waren bei Oprah Winfrey und sie haben einen hohen Lebensstandard. Jedoch müssen sie auch mit dem Stress von vollen Terminkalendern und vielen Menschen die etwas von ihnen wollen fertig werden. Wenn Sie sie kennen würden, würden Sie deren Leben niemals als perfekt bezeichnen. Aber sie neigen dazu, wirklich glücklicher zu sein, wenn sie neue Ziele erreichen und Projekte abschließen. Die meisten Autoren die ich kenne strahlen ziemlich, wenn sie gerade ein neues Buch beendet haben.
Spielerisch mit den negativen Aspekten von Erfolg umgehen
Wenn Sie eine realistischere Sichtweise von Erfolg übernehmen, wird es leichter Projekte abzuschließen. Perfektionismus ist weniger problematisch wenn Sie willens sind, die negativen Konsequenzen zu akzeptieren, die an den positiven dranhängen.
Wann immer ich einen neuen Artikel veröffentliche weiß ich, dass er einigen Leuten nicht gefallen wird. Auch wenn ich das Gefühl habe, ein paar großartige Einsichten geteilt zu haben, weiß ich aus Erfahrung, dass einige Leute das für Mist halten. Einige Leute werden meine Artikel in ihren eigenen Blogs kritisieren. Von Zeit zu Zeit eröffnen manche Leute doch tatsächlich einen völlig neuen Blog nur zu dem Zweck, zu kritisieren was ich schreibe. Ich akzeptiere all das, weil es ein Nebeneffekt von Erfolg ist. Diese Dornen kommen mit den Rosen die ich bekomme. Würde ich scheitern, würde es diese Dornen nicht geben.
Was für mich gut funktioniert ist ein spielerischer Umgang mit den negativen Aspekten von Erfolg. Ich denke es ist nicht gut, wenn man sich selbst zu ernst nimmt. Wenn wir voll und ganz akzeptieren das Erfolg natürlicherweise einige Kehrseiten hat, dann können wir uns entspannen und den kreativen Prozess ohne übermäßigen Stress oder Verzögerungen genießen. So wie man akzeptieren muss, dass man bei einem Lottogewinn eine nicht unerhebliche Summe an Steuern zahlen muss und sich alte Freunde eventuell auf einmal ziemlich seltsam verhalten. Wenn Sie das akzeptieren können, dann können Sie den Gewinn genießen ohne sich über die Konsequenzen zu ärgern.
Perfektionisten fürchten die negativen Aspekte von Erfolg, etwa die Kritik ihres Chefs wenn sie ein fertiges Arbeitsprojekt einreichen oder die negativen Kritiken beim Veröffentlichen eines Buches. Aber, wenn sie sich dieser Angst vor negativen Rückmeldungen stellen und spielerisch mit ihr umgehen, wird die Angst sich zum Großteil verringern. Es ist leichter Projekte fertigzustellen, wenn Sie keinen Widerstand aus Angst vor negativen Folgen gegen die Fertigstellung aufbauen.
Einer meiner Wege damit zu spielen war, mit Absicht ein paar Artikel zu schreiben bei denen ich mir überwiegend negative Konsequenzen erwartete. Ich war trotzdem der Meinung, dass diese Artikel interessant und wertvoll sind, aber bei der Veröffentlichung konnte ich mir schon ausrechnen, dass die meisten Leute nicht begeistert sein würden. Ich schrieb sie zum Teil auch als einen Akt des Mutes für mich selbst, um alle unbewussten Ängste bezüglich negativem Feedback zu überwinden. Ich dachte, dass ich so langfristig ein besserer Schriftsteller werden würde da ich so eher bereit sein würde, Risiken einzugehen anstatt auf Nummer sicher zu setzen. Wie erwartet bekamen diese Artikel jede Menge kritisches Feedback. Aber dann gab es da auch etliche Leute, die diese Artikel sehr gut fanden und ironischerweise wurde einer dieser Artikel (10 Gründe, warum Sie keinen Job annehmen sollten) zu einem der populärsten überhaupt. Indem ich spielerisch mit den negativen Aspekten von Erfolg umging, holte ich mir in Wahrheit tatsächlich mehr positive Aspekte in mein Leben.
Wenn ich zurückschaue war das eine erfolgreiche Übung, da sie mir dabei half die Bereitschaft zu entwickeln, öffentlich ein breiteres Spektrum an Themen auszuprobieren. Betrachten Sie diesen Vorgang als Impfung gegen die negativen Aspekte von Erfolg. Wenn Sie sich spielerisch mit den negativen Aspekten auseinandersetzen, sehen Sie sie wahrscheinlich als nicht so eine große Sache an. Ihre Reaktion wird weniger ablehnend und mehr neutral. Vielleicht kommen Sie sogar so weit, zu genießen, was Sie einmal als negativ empfunden haben. Sie lernen vielleicht, die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit (Links und Traffic) zu schätzen, die Ihnen Kritiker bescheren.
Lieben Sie die Ziellinie
Wann immer Sie die Ziellinie überqueren ist das Ergebnis niemals perfekt. Sie werden immer zurückschauen, auf die Tage hinter Ihnen und das Gefühl haben, Sie hätten es noch besser machen können. Feiern und genießen Sie Ihre Abschlüsse trotzdem.
Vor 10 Jahren lief ich den L.A. Marathon. Meine Leistung war miserabel denn ich lief mit einer Knieverletzung (was im Rückblick nicht die klügste Entscheidung war) und hatte die meiste Zeit des Rennens Schmerzen. Die ersten zwei Stunden regnete es auch noch. Ich rannte also bekleidet mit einem Plastiksack und meine Schuhe wurden nass. Dennoch überquerte ich die Ziellinie und nahm meine Teilnehmer-Madaillie entgegen. Danach konnte ich etliche Wochen nicht Laufen, ich bin aber froh, einmal einen ganzen Marathon gelaufen zu sein.
Es ist hilfreich die negativen Aspekte vom Erfolg anzunehmen und zu akzeptieren, also lehnen Sie Erfolg nicht ab. Aber gleichzeitig können wir den größten Teil unserer Aufmerksamkeit auf die positiven Aspekte lenken. Akzeptieren Sie die Existenz von Dornen, aber lassen Sie sich von der Rose inspirieren.
Ihre Resultate werden nie perfekt sein, aber ein ziemlich gutes Ergebnis ist besser als kein Ergebnis.
Übersetzung von ProblemImGriff, Original von Steve Pavlina:
„Completion vs. Perfection“
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